Kreativität + Innovation

kreativität ist der heilige gral der wissensgesellschaft

Alle wollen ihn haben. Doch wie bei Indiana Jones gibt es zwei Varianten: einen mit Edelsteinen besetzten Kelch, der verführerisch glänzt und mit diesem Ganz in die Irre führen kann und einen einfachen Holzbecher, der erst einmal nach nichts aussieht, aber in dem die ganze Power des Grals steckt.

 

Ähnlich verhält es sich mit der Kreativität. Auf der einen Seite gibt es eine funkelnde Kreativität, die sich in innovativen Produkten manifestiert – ein tolles Gemälde, ein selbstfahrendes Auto, ein Musikstück, ein lernender Algorithmus etc. Auf der anderen Seite steht eine Kreativität, die im Außen wenig greifbar ist und einen schöpferischen Zustand des Bewusstseins darstellt. Diesen Zustand kennen wir alle, wenn unter der Dusche plötzlich die Idee für die Lösung eines brennenden Alltagsproblems auf uns nieder rieselt oder bei einem abendlichen Glas Wein mit Freunden plötzlich ein Konzert zur Rettung der Welt in fast greifbare Nähe rückt.

 

 

Die Kraft der Selbstverwirklichung

Abraham Maslow, Psychologie und Kreativitätsforscher und berühmt geworden durch seine "Bedürfnispyramide" war es, der diese beiden Kreativitätstypen erkannt und ihre Unterschiedlichkeit betont hat. Maslow spricht von der "primären Kreativität" als psychisch-mentale Disposition in Form einer selbstverwirklichenden schöpferischen Kraft, die wir alle in uns tragen und unterscheidet diese von der "sekundären Kreativität", die – dem prunkbesetzten Kelch vergleichbar – für alle sichtbar und greifbar im Außen wirksam wird.

Die erstere ist ein zartes Pflänzchen. Sie braucht Spielräume, freie Entfaltungsmöglichkeiten ohne Erwartungsdruck und eine Offenheit des Denkens. "Disziplinlosigkeit" könnte man das überspitzt nennen, verbunden mit der Fähigkeit, in Gefilde außerhalb des eigenen fachlichen Kompetenzfeldes auszuströmen und Querverbindungen zu knüpfen, die kreative Energien befeuern und im Dialog mit anderen vielversprechende Assoziationsfelder eröffnen.

 

"Gehirne sind wie Fallschirme, sie funktionieren nur, wenn sie offen sind..."

So lautet ein Spruch in einem Lehrbuch, das der US-Geheimdienst an angehende CIA-Analysten verteilt.

Stress ist ein Kreativitätskiller ebenso wie fehlende Entfaltungsmöglichkeiten. Wer täglich in einer fensterlosen Bürokabine ohne Kontakt zur Außenwelt am Computer sitzt, für den muss der Appell "think outside the box!" wie ein zynischer Kommentar zur eigenen Situation klingen.

 

Im Unterschied dazu ist die sekundäre Kreativität eher hands-on. Sie beinhaltet die praxisorientierte Übersetzung von Ideen in Ergebnisse, die als Erfindungen, Produkte und Dienstleistungen verwertbar und ökonomisierter sind. Beide Formen haben ihren Wert. Erst durch ihr Zusammenwirken in einer, wie Maslow es nennt, "integrierten Kreativität" entfaltet sich ihre transformierende Kraft.

 

 

Prozessmusterwechsel und Flow

Der Heilige Gral der Kreativität ist also beides. Zum einen eine in sich ruhende, selbstbewußte Gelassenheit, verbunden mit der Fähigkeit, gewohnte Muster und ausgetretene Pfade zu verlassen, um sich auf neue Gedanken und Empfindungen einzulassen. Hinzu kommt zum anderen Handlungsbereitschaft, kreatives Geschick und Umsetzungsstärke. Deshalb ist auch das Argument falsch, das ich oft von Menschen in Beratungsprozessen höre: "Aber ich bin doch gar nicht kreativ, ich kann nicht malen!" Darum geht es auch nicht, besser gesagt: das ist die falsche Schlussfolgerung. Denn eigentlich impliziert Kreativität in ihrer primären Form zuallererst die Fähigkeit, den Status quo in Frage zu stellen und die eigenen mentalen und sinnlichen Kanäle zu (re-)aktivieren, damit ungewohnte Perspektiven und Wahrnehmungszugänge freigeschaltet werden können. Erst dann kommt die zweite Form der Kreativität ins Spiel, die auf das "Malen", d.h. das Machen, das Umsetzen und das In-die-Welt-bringen einer Idee setzt.

 

Flow und Sprint

In ihrer operativen und anwendungsbezogenen Dimension ist die sekundäre Kreativität eng verwandt mit dem Begriff der Innovation. In den Wirtschaftswissenschaften wird Innovation als Neuerung definiert, die mit technischem, wirtschaftlichen und sozialen Wandel einhergeht. Es ist von daher nur konsequent, dass Innovationsfähigkeit in einer auf Neuheiten und Alleinstellungsmerkmale getrimmten Gesellschaft die höchste Währung darstellt. Das mit der Währung ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen, denn Innovation bemißt sich an quantitativen Indikatoren. Sie ist marktorientiert und fokussiert auf Resultate, die im ökonomischen Wettbewerb meßbar und quantifizierbar sind.

Während die Kreativität im "Flow" am besten zu sich selbst kommt, ist Innovation deshalb eher das Ergebnis von "Sprints" – gegen die Konkurrenz, gegen den Wettbewerber oder auch ganz einfach im Wettlauf mit der Dynamik gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen.

 

"Creativity is the engine of innovation"

formulierte der kanadische Premierminister sehr treffend beim Weltwirtschaftsgipfel 2016 in Davos. Jede Innovation hat Kreativität zur Voraussetzung. Richtig ist aber auch, dass nicht jede Erfindung notwendigerweise zu einer Innovation führt. Nur 10% der kreativen Ideen schaffen den Transfer in innovative Produktentwicklungen! Man denke in diesem Zusammenhang an die legendären Bell Labs, die Forschungsabteilung des amerikanischen Telekommunikationsunternehmens AT&T, die zwischen 1940 und 1970 bahnbrechende Erfindungen wie die Solarzelle oder die Lasertechnologie vorangebracht haben, ohne diese Erfindungen zur Marktreife weiterzuentwickeln. Oder Xerox Parc, wo eine Gruppe kreativer Wissenschaftler die Grundlagen für den PC geschaffen hat. Fast alles, was wir heute mit Computern verbinden – die Maus, Cursorsteuerung, Windows-Programme zur Öffnung von Dateien – wurde dort erfunden. Aber Xerox gelang es nicht, das gigantische Potenzial dieser Technologien zu erkennen. Das tat erst Steve Jobs, als er 1979 bei Xerox die Maus entdeckte und zum integralen Bestandteil der Apple-Computer machte.

 

Ein ungleiches Paar

An dieser Stelle wird noch einmal deutlich: ist kommt die Kreativität (als schöpferische Ressource eines Individuums oder Teams) und dann kommt, möglicherweise, die Innovation (als erfolgreiche Platzierung eines neuen und marktfähigen Produkts). Google hat diese Logik früh erkannt und mit GoogleX ein Forschungslabor ins Leben gerufen, das der Kreativität den nötigen Spielraum und die nötige Zeit zu ihrer Entfaltung gibt. Jedes Jahr wird dort an mehr als 100 Ideen gefeilt – von sauberer Energie bis zu künstlicher Intelligenz. Aber nur ein winziger Prozentsatz wird zu "Projects", in denen die Ideen in Richtung Innovationen vorangetrieben werden. Der Rest landet im Nirgendwo. Nicht Moonshot-tauglich.

 

Kreativität und Innovation sind also ein ungleiches Paar. Qualitativ und quantitativ, Bewusstsein und Materie, Flow und Sprint, Ideenentwicklung und Umsetzung: beide hängen irgendwie miteinander zusammen aber sind am Ende doch sehr verschieden.

 

Was heisst das?

1. Jede/r ist kreativ. Kreativität gehört zur menschlichen Grundausstattung. Neugier und die Lust am Experiment sind Teil unserer DNA.

 

2. Kreativität als Forderung ist der rosa Elefant. Sobald Kreativität als Imperativ daherkommt (sei kreativ!) stirbt sie.

 

3. Kreativitätskiller No.1 ist die Gleichsetzung mit Innovation.

 

4. Jede Innovation setzt Kreativität voraus.

 

5. Innovation kann ein Ergebnis von Innovation sein, muss aber nicht.