Kunst + Können

Wie gut sind die neuen KI-Technologien und was bedeutet das für Kreative?

Kunst kommt nicht von Können. Was aber, wenn Kreativität künftig in den Händen von künstlichen Intelligenzen läge, die aus zig Millionen Daten in Blitzgeschwindigkeit neuen Output generieren? Output, der außerdem kreativ, innovativ, originell und bisweilen witzig daherkommt? Und den jeder erzeugen kann, der über ein smartphone oder über ein anderes digitales Endgerät verfügt?

Diese Stufe scheint inzwischen erreicht zu sein, zumindest wenn man den zahllosen Artikeln glaubt, die teils euphorisch, teils alarmiert, in den vergangenen Wochen von den neuen KI-Technologien berichtet haben. Lange Zeit waren Gespräche über die Chancen und Risiken beim Einsatz von künstlicher Intelligenz oder Machine Learning ein bisschen wie der Versuch, Pudding an die Wand zu nageln. Irgendwie war das Thema präsent, aber nicht so richtig greifbar. Das hat sich mächtig geändert. Software mit KI und Machine Learning ist sichtbarer als je zuvor. Die Programme heißen Lensa, Dall-E, Stability AI, Midjourney oder ChatGTP.

Bei einem gemeinsamen vorweihnachtlichen Abendessen erzähle ich meinen Kindern aufgeregt von den neuen Apps. Ob sie schon davon gehört hätten? Meine Tochter schickt mir ein müdes Lächeln über den Tisch. „Was heißt ‚neu`? Alle meine Freunde posten schon seit Monaten mit Lensa erzeugte Selfies; die Instagram-Accounts sind voll davon. Ich kann dieses slicke gepimpte Pseudo-Kunst-Zeug echt nicht mehr sehen!“

Wie so oft, kam ich mir als Boomer wieder einmal richtig alt vor. Gerade hatte ich mich noch super informiert und ganz weit vorne in der digitalen Welt gefühlt, nur um dann im Gespräch mit meinen Kindern festzustellen, dass zumindest die Millenials die neuen Anwendungen längst nutzen. Eigentlich auch wenig erstaunlich, denn Lensa, ist DAS Tool zur Selbstinszenierung. Es bedient sich deiner Selfies und erzeugt aus dem Mix immer neue Selbstbilder in wechselnden Stilen. Tatsächlich ist Lensa in den vergangenen Monaten komplett durch die Decke gegangen. 

Weil die Bedienung supersimpel ist, nutzen das Tool mittlerweile Millionen von Usern. #lensa gehört inzwischen zu den meistgeposteten Hashtags überhaupt. Was zur Folge hat, dass die App immer besser wird, denn sie wird ja mit Millionentonnen Bildern gefüttert. Wer braucht da noch mühsam erstellte individuelle Vorlagen? Die App ist millionenmal kreativer.

Alles, was du dir vorstellen kannst ...

Midjourney, ein anderes derzeit gehyptes KI-Programm, ist eine sogenannte „text-to-image“-Anwendung, d.h. sie wandelt Texte in Bilder um. Und zwar sofort. Das Nutzerversprechen lautet: Supereinfach und supercool. Diesmal wollte ich das selber ausprobieren. Ich lud mir also die App herunter und legte los. Nach einigen Startschwierigkeiten (was ist der Discord-Server? Wo kann ich einen Account anlegen? Wie funktionieren die Channels?) hatte ich einen #newbies Channel ausgewählt.  Der Thread zeigte im Sekundentakt erstellte Bilder von anderen Newbies. Jedes Bild bestand aus einem Raster mit vier Variationen; darüber war jeweils der zugrundeliegende Text eingeblendet.

Das wollte ich auch! Die Aufgabe schien denkbar einfach: man sollte den Befehl “/imagine”  drücken und dann einen beliebigen Text eingeben.

Dieser Text würde dann, so das Versprechen, durch einen Bot in ein Bild übersetzt. Ich saß also vor dem Bildschirm, fieberhaft nach dem einen genialen Satz oder einer möglichst tiefsinnigen Regieanweisung suchend. Schnell stellte ich fest, dass darin die eigentliche Herausforderung – und vielleicht die wirklich kreative Seite – dieses KI-Programms liegt: sie bringt die Poetin, die Dadaistin, die Haiku-Schreiberin in dir zum Vorschein. Oder auch nicht. Mir jedenfalls wollte partout nichts einfallen.

 

Ich starrte auf den Bildschirm. Rechts oben prangte der Werbeslogan von Midjourney:„A text-to-image AI in which your imagination is the only limit.“ Haha, genau, meine Vorstellungskraft implodiert aufgrund ihrer engen Limits. Am Ende landete ich jedenfalls bei dem eher bescheidenen Satz: „Sunset mood on a calm beach with pony“. Während ich noch darüber nachdachte, wo diese wirklich bescheuerte Idee mit dem Pony herkam, wurde meine Regieanweisung in ein Bildraster umgewandelt, aus dem sich nach wenigen Sekunden vier Bildvariationen formten, die genau das zeigten, was ich eingegeben hatte.  Mal mit etwas mehr Farbe, mal mit etwas mehr Weichzeichner aber immer mit Meer und Sonnenuntergangshimmel und Strand und Pony.

Ich war beeindruckt. Das Programm hatte mich gepackt und ich wollte sofort weitermachen. Diesmal verwendete ich etwas mehr Mühe, um zumindest eine gewisse Grundpoesie in die Textvorlage zu bekommen und tippte: „Jungle with fireflies at night with starlight and cutout shapes of dancing people.” Das Ergebnis sah so aus:

 

Zwei Versuche, zwei ganz unterschiedliche visuelle Stile. Gar nicht mal so schlecht. Ich verglich meine „Kunstwerke“ mit anderen Bildern von weiteren offenbar gerade aktiven Newbies im Thread. Das Auge kam gar nicht mit, so schnell scrollten Darstellungen im Stil von Mangazeichnungen, psychedelische science fiction-Welten, kitschige Sonnenuntergänge und keltische Krieger über den Screen. Ein unendlicher Ozean von Bildern, gespeist aus dem unerschöpflichen Image-Pool des WWW.

 

Midjourney greift auf ein Datenpool von mehr als 650 Mio. Bildern zu, die aus Kunst- und Museumsarchiven, Photodatenbanken, Stockbildern von Agenturen etc. stammen. Das bedeutet: 650 Mio. Bilder von Millionen kreativen Menschen, die an eine nimmersatte KI verfüttert werden, ohne dafür jemals die Credits oder gar Honorar zu bekommen.

Eines darf nicht vergessen werden: Hinter jedem Midjourney Bild stecken visuelle Vorlagen, die von „echten“ Menschen gezeichnet, gemalt oder fotografiert worden sind.

Das ist die dunkle Seite der Macht dieser neuen KI-Anwendungen: Sie sind nur deshalb so gut, weil sie mit dem im Netz verfügbaren Bildmaterial trainiert werden konnten. Ihre Attraktivität verdankt sich der Vielfalt, dem kreativen Reichtum, der Imaginationskraft von Menschen, die viel Zeit, Arbeit und Inspiration in die Erfindung von visuellen Welten investiert haben, die nun zum Nulltarif verheizt werden. 

 

Im Moment brauchen die KI‘s noch Vorlagen. Aber mit jedem Bild, das von einem Bot generiert wurde, wachsen die Möglichkeiten der Neuerfindung. Wo ist die Grenze zwischen Re-Kombination und Neuschöpfung? Beruht nicht jeder schöpferische Akt immer auch auf Bekannntem, auf Vorlagen und Mustern, die die Inspiration anregen und den Keim für Neues setzen?

Alle Kreativität ist Neukombination; auch Kunst ist nie „creatio ex nihilo“, sondern Abwandlung und Weiterentwicklung von dem, was schon da ist. Jede Künstlerin bedient sich an bereits vorhandenem Material, schöpft ihre Kreativität aus Bildern, Musik, Texten, Zeichnungen ihrer Vorgängerinnen. Das war schon immer so.

Komplett anders ist jedoch, dass mit der KI Technologien am Werk sind, die keine Urheberansprüche stellen, die keine Honorare erwarten, ja, die nicht einmal „kreative Pausen“ benötigen, um Energie und Kraft zu tanken. KI‘s sind genügsam.

Texte, geschrieben von Geisterhand

Eins der meistdiskutierten Anwendungen derzeit ist der KI-Textgenerator ChatGTP.

Das Akronym steht für „Generative Pre-Trained Transformer“, für Laien übersetzt also ein Superprogramm, das selbständig Texten und Dichten kann.

Mithilfe einer gigantischen Wissensbasis, das literarische Texte der Weltliteratur ebenso umfasst wie journalistische Texte, politische Reden bis hin zu Gebrauchsanweisungen, generiert ChatGPT beliebige Texte in Echtzeit. Das Programm braucht dazu lediglich ein paar wenige Stichworte. 

Ähnlich wie bei Midjourney gibt man ein Problem oder eine Aufgabenstellung ein – z.B. „schreibe einen kurzen Essays über die Möglichkeiten und Gefahren von KI für die Wissensarbeit unter besonderer Berückschtigung der Kreativindustrie“ – und bekommt dann innerhalb von wenigen Sekunden folgendes Ergebnis:

 

Die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) für die Wissensarbeit sind vielfältig und umfassen vor allem die Automatisierung von Routineaufgaben, die Verbesserung der Datenanalyse und die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung. In der Kreativindustrie kann KI beispielsweise dazu beitragen, die Produktivität zu erhöhen, indem sie bei der Erstellung von Inhalten und Designs unterstützt oder sogar vollständig übernimmt.

 

Ein Beispiel für die Nutzung von KI in der Kreativindustrie ist das automatisierte  Schreiben von Nachrichtenartikeln oder das Erstellen von Musik und Kunstwerken.  Durch die Verwendung von KI können Unternehmen Zeit und Ressourcen sparen,  indem sie menschliche Mitarbeiter von Routineaufgaben entlasten und sich auf kreativere und wertschöpfendere Aufgaben konzentrieren. Allerdings birgt die Verwendung von KI auch einige Gefahren, insbesondere in Bezug auf die mögliche Entlassung von Mitarbeitern durch Automatisierung und die Einschränkung kreativer Freiheit durch vorgefertigte KI-Lösungen.

 

 

Es ist wichtig, dass Unternehmen und Einzelpersonen sorgfältig abwägen, ob und wie KI in ihre Arbeit eingebunden werden sollte, und sicherstellen, dass ethische Gesichtspunkte berücksichtigt werden.

Es ist auch wichtig, dass KI verantwortungsvoll eingesetzt wird, um sicherzustellen, dass sie die menschliche Kreativität und das Denken nicht ersetzt, sondern vielmehr unterstützt und ergänzt. Durch die richtige Balance zwischen menschlicher und maschineller Intelligenz können wir die Vorteile von KI nutzen, ohne die Gefahr zu laufen, dass sie uns ersetzt.

 

Insgesamt bieten KI und Wissensarbeit in der Kreativindustrie sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Es ist wichtig, dass wir diese Möglichkeiten verantwortungsbewusst nutzen und auf ethische Fragen achten, um die Vorteile von KI zu maximieren und ihre möglichen Risiken zu minimieren. 


 

Stimmt alles, irgendwie. Und trotzdem ist der Text etwas zu slick, es gibt keine Ecken und Kanten – man könnte auch sagen: kein menschliches Gehirn, das Position bezieht, keine Stimme, die ihre Meinung äußert. Offenbar beherrscht das Programm eine perfekte diplomatische Rhetorik, welche die Risiken, zumindest in sozialer, ethischer und nicht zuletzt arbeitsrechtlicher Hinsicht, herunterspielt.

Der amerikanische Psychologieprofessor und KI-Experte Gary Marcus nennt die Veröffentlichung von ChatGPT den „Jurassic Park“-Moment der KI-Forschung und meint damit die Verantwortungslosigkeit der Wissenschaft, die ein Programm auf den Markt bringt, ohne dessen Risiken wirklich abzuschätzen. Tatsächlich sind die Konsequenzen für Berufe, die als Wissens- und Kreativarbeit verstanden werden können beträchtlich: Wer wird in Zukunft die Arbeit von Autorinnen und Journalisten honorieren, wenn ein KI-Bot diese Arbeit blitzschnell und ohne jegliche Bezahlung erledigen kann? Welcher Kunde wird noch einen Art Director buchen, wenn ein KI-Programm die neue Marketingkampagne in einem Wimpernschlag visualisiert? Wer gibt künftig Geld für Illustrationen aus, wo doch Midjourney zu jedem Inhalt phantastische Bildvariationen erstellen kann? Nicht zuletzt lassen sich mit der Software leicht und massenhaft Desinformationskampagnen und andere Falschinformationen produzieren.

#artbyhumans

Dieser Hashtag ist die Kampfansage der Kreativen gegen die wachsende Popularität der KI. Die Grenzen zwischen „handgemachter“ Kunst und KI generierten Bildern verschwinden – und damit verwischen für viele auch die Kriterien der Unterscheidung. Viele Künstler und Kreative befürchten, die KI-Technologien könnten künstlerische Arbeit schon bald obsolet werden lassen. 

Was jetzt mit Sprache und Kunst passiert, wird in den kommenden Jahren immer neue Felder erreichen. KI wird uns die Arbeit abnehmen – zumindest viel davon. Deshalb ist jetzt der Moment, an dem wir uns die Frage stellen müssen: Welche Arbeit wollen wir abgeben – und welche sollte unbedingt in Menschenhand bleiben? Die Frage ist nicht nur arbeitsrechtlich relevant, sondern auch und vor allem ethisch. Denn wenn wir die Kontrolle über Kreativität aufgeben, geben wir Vielfalt und Diversität, das Sperrige und Unbequeme auf. Wir geben Verantwortung ab – und wissen nicht wirklich, was wir zurückbekommen.

Wir brauchen originelle, unperfekte Gedanken, menschliche Verbindung, Empathie und die Fähigkeit zu vergessen und zu lernen. Das darf uns die KI nicht abnehmen.

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